In meiner engeren und weiteren Familie war Camping kein großes Thema. Nicht einmal das Zelten, obwohl mein Vater als passionierter Bergsteiger und Tourengeher viel im Alleingang in der freien Natur unterwegs war. Er wählte seine Routen umsichtig aus und hatte auch ein gutes Gespür für sich ändernde Wetterlagen, sodass ich mich nur an zwei oder drei seiner Reiseberichte erinnere, in denen er erwähnte, dass er ein Notbiwak errichten musste. In meiner Welt jedenfalls kamen Wohnwagen, Wohnmobil sowie Zelt nur in der Außensicht vor.
Bis ich den Cowboy kennengelernt habe. Sein Wohnwagen verwandelte sich zwar schon bei unserer ersten gemeinsamen Ausfahrt in einen Schrotthaufen, aber das erschüttert einen eingeschworenen Campingfan nur marginal. Schon im Herbsturlaub wohnten wir wieder in einem – für meine Begriffe – luxuriösen Wohnwagen in einer traumhaften Bucht in Dalmatien. Seit damals waren der Cowboy und ich in Summe bereits mehrere Monate gemeinsam hier. „Unser“ Campingplatz ist eine liebenswerte, einfach gehaltene Mischung aus nicht betonierten Standplätzen auf Terrassen in leichter Hanglage mit vielen Olivenbäumen dazwischen, wobei die einzelnen Plätze mehr oder weniger eben sind. Eher weniger als mehr, aber das macht nichts, denn die meisten Besucher kommen wegen der wunderbaren Lage, der Ruhe, der Nähe zum Meer, von dem einen nur wenige Schritte und ein schmales felsiges Ufer trennen.
Die meisten Besucher, wie gesagt, denn dann gibt es noch jene, die unbedingt direkt am Ufer logieren wollen. Pole-Position, wie wir es nennen. Naturgemäß sind die meisten dieser Plätze kleiner dimensioniert und meerseitig zum Schutz vor starker Brandung mit niedrigen Steinmauern umgeben. Was ich anfangs für leicht übertriebene Anekdoten des Cowboys gehalten habe, hat sich als nackte Wahrheit herausgestellt; es gibt nämlich Urlauber, deren einziges Ziel, auch wenn sie so gut wie nie ins Meer schwimmen gehen, ein Platz in der Pole zu sein scheint. Da wird nicht davor zurückgeschreckt, Inhabern von Wohnwägen und Wohnmobilen, die auf einem dieser begehrten Plätze stehen, mit dem eigenen Wohnmobil oder Wohnwagengespann auf die sprichwörtliche Pelle zu rücken, und auch nicht davor, die vorderste Front abzuklappern, um sich bei den dortigen Urlaubern zu erkundigen, wann sie denn abreisen würden. An Gemütlichkeit wird dieses Verhalten nur davon übertroffen, in einem Restaurant zu sitzen und zu essen, während daneben schon andere Gäste auf einen Platz wartend stehen und einem missmutig mit der unausgesprochenen Frage auf den Teller starren, wann wohl endlich der Tisch frei wird.
In sich ruhende Gemüter erschüttert das nicht, andere reagieren genervt. Es sind um diese Plätze schon wütende Streitgespräche entbrannt, und bei Wohnmobilen, die kurz wegfahren, weil sie Besorgungen zu erledigen haben, kann es mitunter vorkommen, dass der eigene Platz bei der Rückkehr besetzt ist. Fahrräder und Campingmöbel, die dort verblieben sind, lassen sich ja schließlich schnell beiseiteräumen, nicht wahr? Zeltcamper wagen erst gar nicht, einen dieser Plätze zu besetzen, vermutlich, weil sie fürchten, nächtlicherweise im Schlaf mitsamt ihrem Zelt delogiert oder im Morgengrauen (sic!) überrollt zu werden. Es gibt tatsächlich Campinggäste, für die nach eigener Aussage der Urlaub gelaufen ist, wenn sie nicht genau den Stellplatz bekommen, der ihnen gedanklich vorschwebt.
Dem Publikum, welches nicht auf einen der vordersten Ränge abonniert ist, bietet sich tagsüber ein erstaunliches Spektakel dar. Manche Gäste scheinen nur hier zu sein, um während ihres Urlaubes sukzessive nach vorne zu rücken, bis sie endlich ihren Logenplatz am Meer ergattert haben. Die Freizeitkarriere des selbsternannten Premiumcampers sozusagen, gekrönt von direktem Meerblick. Wobei alle anderen Gäste wegen der Hanglage ebenfalls Meerblick haben, bestenfalls unterbrochen von ein paar Olivenbäumen, aber das zählt nicht, denn Hauptsache Pole-Position! Dass ein Umzug eines bereits aufgebauten Wohnmobils oder Wohnwagens nicht mit wenigen Handgriffen zu bewerkstelligen ist, spielt dabei offensichtlich keine Rolle. Dass wir anderen spätestens ab der dritten Hangstufe jede Menge Platz haben, um uns auszubreiten mit allem, was man bei einem längeren Campingaufenthalt gern dabei hat, scheint ebenfalls unwichtig zu sein. Pole-Position, und wenn der Platz so eng ist, dass nicht einmal nebeneinander zwei Liegebetten mit Blick aufs Meer aufgestellt werden können! Dass Vorzelte und Markisen dazu neigen, bei auflandigen Winden wie dem Jugo ihre Flug(un)fähigkeit unter Beweis zu stellen, indem sie vor allem bei ungenügender Absicherung mittels Verstrebungen und Sturmbändern (Merke: Hier kommt wieder das Platzproblem in der Pole zum Tragen!) traurig in sich zusammensinken oder gleich übers Gefährt drüberklappen, fällt vermutlich unter Kollateralschaden. Die Alternative dazu stellt der tägliche Auf- und Abbau dieser Gerätschaften dar, aber was nimmt man nicht alles in Kauf, um daheim mit stolz präsentierter Urlaubsbräune verkünden zu können, man sei mit Wohnwagen oder Wohnmobil direkt am Meer gestanden, also richtig DIREKT am Meer! Wer wenig Campingerfahrung besitzt, mag vielleicht beeindruckt reagieren, Menschen mit entsprechender Praxis und Kenntnis von den Windverhältnissen in Dalmatien verbeißen sich, so sie höflich sind, eine spitze Bemerkung.
Am heutigen Tag ist neben uns am Morgen ein Stellplatz frei geworden. Mittlerweile haben die zuvor weiter oben am Hang ansässig gewesenen Nachfolger der Nachbarn diesen Platz bereits wieder verlassen, um sich weiter Richtung Meer zu begeben. Die 100 Meter Luftlinie bis zum Wasser müssen augenscheinlich eine unüberwindbare Distanz sein, deshalb wirken auch die Camper, die vorhin nebenan eingeparkt haben, nicht unbedingt so, als wollten sie bleiben.
Des Campers Wille ist sein Himmelreich. Und manchmal auch seine Hölle.