Update 3. Oktober 2020

Es geht mir gut.

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Mitten im Nichts

Der September in Dalmatien hat mir Kraft gegeben. Gesundheitlich ging es mir danach deutlich besser, weil das Meer, die Wärme, die Sonne verstärkten, was ich in meiner Reha gelernt hatte. Ich suchte nach meiner Rückkehr wieder Arbeit, hoffnungsvoll, wenngleich ich wusste, dass sich mein Wiedereinstieg nicht zuletzt aufgrund meines Alters und meiner Behinderung zäh gestalten würde. Vielleicht gehöre ich aber auch nur zu jenen Menschen, die sich an durch nichts gerechtfertigte Hoffnungen selber aus dem Sumpf ziehen, möglich wärs. Den Winter hindurch schaffte ich es wenigstens, gesundheitlich auf dem erreichten Level zu bleiben, und alleine das war schon ein kleiner Sieg.

Als die Tage dann wieder länger und wärmer wurden, kam Corona. Das Stilllegen jeglichen öffentlichen Lebens überrollte mich, gefolgt von der Neuauflage meines Kindheitstraumas: Ich war in einem unsichtbaren Käfig gefangen. Ohne die Möglichkeit, selbstbestimmt zu agieren, abgeschnitten von direkten zwischenmenschlichen Kontakten, ohne räumliche Bewegungsfreiheit. Am Morgen schweißgebadet aufwachen, dabei feststellen, dass ich einen wirklich üblen Alptraum gehabt habe – und im nächsten Moment dann die entsetzliche Gewissheit, dass das alles kein Traum, sondern erneut Realität ist.

Diese befremdliche Realität ist mir seither nicht vertrauter geworden, und ich würde sie unbesehen sofort ersatzlos entsorgen, ginge es nicht auch um Leben und Gesundheit anderer Menschen. Es gibt sehr viele Fragezeichen und verhältnismäßig wenig gesichertes Wissen; für mich ist nur klar, dass ich mich bis auf Weiteres verhalte wie bei allen Krankheiten, die durch eine Tröpfcheninfektion übertragen werden. Ich meide nach Möglichkeit Menschenansammlungen und geschlossene Räume, schaue auf meine eigene Gesundheit, achte auf Signale meines Körpers.

Die Signale meiner Seele sind ein anderes Kapitel. Ich habe wieder Panikattacken, manchmal mehr, manchmal weniger, doch sprungbereit sind sie immer. Meine Erschöpfungsdepression zeigt zwischendurch, dass sie wahrscheinlich nie mehr ganz verschwinden wird. Dass meine Arbeitssuche krisenbedingt völlig zum Erliegen gekommen ist, macht es nicht besser, weil dadurch zum menschlichen Aspekt auch die materielle Lage kommt. Mein Einkommen bewegt sich an der Armutsgrenze, meine beruflichen Zukunftsaussichten sind trostlos.

Kleine Frau – was nun?

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Abschied von Dalmatien

Ich habe mir einen Traum erfüllt. Keinen dieser großen, spektakulären Lebensträume, die nach Art von Märchen in ziemlich viel Geld und Luxus enden, so in der Art „Vom Tellerwäscher zum Millionär“, sondern einen kleineren, der mich mir selber vielleicht ein wenig nähergebracht hat. Ich habe fast den ganzen September, meinen Geburtstagsmonat, am Meer verbracht.

Die Vorsaison hier ist wie der Frühling überhaupt; es wird jeden Tag auf unserem Platz hier lebendiger, voller, es liegt die Verheißung eines üppigen Sommers ins der Luft. Jeder Tag ein Versprechen des Lebens, dass da noch viel mehr nachkommt. Die überlaufene, laute Sommersaison meide ich ohnehin, und als wir Ende August hier eingetroffen sind, hatten wir ein gutes Timing und auch ein bissl Glück, denn wir haben gleich einen passenden Stellplatz für unser Gespann gefunden. Die ersten beiden Septemberwochen spielten noch Sommersaison und der Platz war mehr oder weniger ausgebucht. Ab der Mitte dieses Monats wurden die Besucher allmählich weniger und die freien Plätze mehr. Die erste deutlich wahrnehmbare Bura kündigte den Herbst an, so wie bei mir meine Krankheit den Herbst meines Lebens eingeläutet hat.

Der Herbst ist für mich eine Jahreszeit der Gegensätze und Entscheidungen: Sehr warme und sonnige Tage, kühlere Nächte, bunte Farben, alles umgeben vom Hauch der Melancholie eines langen Abschieds. Loslassen, was nicht mehr taugt, und aus allem, was noch gut ist oder gar erst jetzt zur Reife gelangt, eine neue Seelenwohnung bauen.

Ich habe so viele Dinge in meinem bisherigen Leben nur gemacht, weil ich geliebt und als Mensch wahrgenommen werden wollte. Wenn ich perfekt bin und alles perfekt mache, werde ich endlich die Wertschätzung finden, nach der ich mich von Kindheit an verzehrt habe! Dass diese Logik keine ist, habe ich auf die harte Tour mit zwei gescheiterten Ehen und schweren materiellen Verlusten gelernt. Viele Jahre hindurch habe ich nur das gesehen, was an mir diversen von außen gesetzten Vorgaben nicht entsprach. Ich bin nicht schön genug, bin nicht liebenswert genug, bin nicht intelligent genug. Wie sehr ein Teil meines familiären Umfeldes davon profitiert hat, mich kleinzuhalten, erkenne ich erst jetzt in großem Umfang. Meine Eltern mussten sich mit einem stillen, angepassten Kind nicht ihren eigenen Dämonen stellen, und meine beiden Ehemänner lebten nach den Zeiten den ersten Glücks psychisch sowie materiell vorzüglich auf meine Kosten.

Wie sehr beneide ich insgeheim Menschen, denen ein gesundes Maß an Selbstwertgefühl schon fast in die Wiege gelegt wurde! Die unendliche Last der Mutlosigkeit, der Unfähigkeit zur richtigen Einschätzung der eigenen Persönlichkeit haben mir sehr viel Lebensenergie geraubt, dort, wo ich voller Stärke und Selbstvertrauen meinen Lebensweg hätte gehen sollen. Ich bin mit Spiegeln aufgewachsen, die mir ein Zerrbild meines Selbst vorgegaukelt haben. Nach und nach haben sich weitere Spiegel gefunden, die mir über die Jahre hinweg ein zuverlässiges Bild meines Wesens vermitteln konnten, und doch sind die alten Bilder immer wieder so stark, dass sie alles Helle verdunkeln. Oft wage ich es nicht einmal, mir meine Wünsche und Träume selber einzugestehen. „Du hast nichts zu fordern!“ hallt es in meinem Kopf, wenn ich wieder zu einem verzagten Kind werde, das sich nach nichts mehr sehnt als nach Liebe, Verständnis, Geborgenheit.

Ich weiß nicht, welche Zukunft auf mich wartet, aber ich wünsche mir, im kommenden Frühling wieder hierher nach Dalmatien reisen zu können, denn eines weiß ich mit Sicherheit: Das Meer nimmt sich meiner Sorgen und Ängste an und trägt einen Teil davon einfach mit sich, hinaus in die Tiefen der dunklen Wasser.

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Alphamännchen im Urlaub

In meiner engeren und weiteren Familie war Camping kein großes Thema. Nicht einmal das Zelten, obwohl mein Vater als passionierter Bergsteiger und Tourengeher viel im Alleingang in der freien Natur unterwegs war. Er wählte seine Routen umsichtig aus und hatte auch ein gutes Gespür für sich ändernde Wetterlagen, sodass ich mich nur an zwei oder drei seiner Reiseberichte erinnere, in denen er erwähnte, dass er ein Notbiwak errichten musste. In meiner Welt jedenfalls kamen Wohnwagen, Wohnmobil sowie Zelt nur in der Außensicht vor.

Bis ich den Cowboy kennengelernt habe. Sein Wohnwagen verwandelte sich zwar schon bei unserer ersten gemeinsamen Ausfahrt in einen Schrotthaufen, aber das erschüttert einen eingeschworenen Campingfan nur marginal. Schon im Herbsturlaub wohnten wir wieder in einem – für meine Begriffe – luxuriösen Wohnwagen in einer traumhaften Bucht in Dalmatien. Seit damals waren der Cowboy und ich in Summe bereits mehrere Monate gemeinsam hier. „Unser“ Campingplatz ist eine liebenswerte, einfach gehaltene Mischung aus nicht betonierten Standplätzen auf Terrassen in leichter Hanglage mit vielen Olivenbäumen dazwischen, wobei die einzelnen Plätze mehr oder weniger eben sind. Eher weniger als mehr, aber das macht nichts, denn die meisten Besucher kommen wegen der wunderbaren Lage, der Ruhe, der Nähe zum Meer, von dem einen nur wenige Schritte und ein schmales felsiges Ufer trennen.

Die meisten Besucher, wie gesagt, denn dann gibt es noch jene, die unbedingt direkt am Ufer logieren wollen. Pole-Position, wie wir es nennen. Naturgemäß sind die meisten dieser Plätze kleiner dimensioniert und meerseitig zum Schutz vor starker Brandung mit niedrigen Steinmauern umgeben. Was ich anfangs für leicht übertriebene Anekdoten des Cowboys gehalten habe, hat sich als nackte Wahrheit herausgestellt; es gibt nämlich Urlauber, deren einziges Ziel, auch wenn sie so gut wie nie ins Meer schwimmen gehen, ein Platz in der Pole zu sein scheint. Da wird nicht davor zurückgeschreckt, Inhabern von Wohnwägen und Wohnmobilen, die auf einem dieser begehrten Plätze stehen, mit dem eigenen Wohnmobil oder Wohnwagengespann auf die sprichwörtliche Pelle zu rücken, und auch nicht davor, die vorderste Front abzuklappern, um sich bei den dortigen Urlaubern zu erkundigen, wann sie denn abreisen würden. An Gemütlichkeit wird dieses Verhalten nur davon übertroffen, in einem Restaurant zu sitzen und zu essen, während daneben schon andere Gäste auf einen Platz wartend stehen und einem missmutig mit der unausgesprochenen Frage auf den Teller starren, wann wohl endlich der Tisch frei wird.

In sich ruhende Gemüter erschüttert das nicht, andere reagieren genervt. Es sind um diese Plätze schon wütende Streitgespräche entbrannt, und bei Wohnmobilen, die kurz wegfahren, weil sie Besorgungen zu erledigen haben, kann es mitunter vorkommen, dass der eigene Platz bei der Rückkehr besetzt ist. Fahrräder und Campingmöbel, die dort verblieben sind, lassen sich ja schließlich schnell beiseiteräumen, nicht wahr? Zeltcamper wagen erst gar nicht, einen dieser Plätze zu besetzen, vermutlich, weil sie fürchten, nächtlicherweise im Schlaf mitsamt ihrem Zelt delogiert oder im Morgengrauen (sic!) überrollt zu werden. Es gibt tatsächlich Campinggäste, für die nach eigener Aussage der Urlaub gelaufen ist, wenn sie nicht genau den Stellplatz bekommen, der ihnen gedanklich vorschwebt.

Dem Publikum, welches nicht auf einen der vordersten Ränge abonniert ist, bietet sich tagsüber ein erstaunliches Spektakel dar. Manche Gäste scheinen nur hier zu sein, um während ihres Urlaubes sukzessive nach vorne zu rücken, bis sie endlich ihren Logenplatz am Meer ergattert haben. Die Freizeitkarriere des selbsternannten Premiumcampers sozusagen, gekrönt von direktem Meerblick. Wobei alle anderen Gäste wegen der Hanglage ebenfalls Meerblick haben, bestenfalls unterbrochen von ein paar Olivenbäumen, aber das zählt nicht, denn Hauptsache Pole-Position! Dass ein Umzug eines bereits aufgebauten Wohnmobils oder Wohnwagens nicht mit wenigen Handgriffen zu bewerkstelligen ist, spielt dabei offensichtlich keine Rolle. Dass wir anderen spätestens ab der dritten Hangstufe jede Menge Platz haben, um uns auszubreiten mit allem, was man bei einem längeren Campingaufenthalt gern dabei hat, scheint ebenfalls unwichtig zu sein. Pole-Position, und wenn der Platz so eng ist, dass nicht einmal nebeneinander zwei Liegebetten mit Blick aufs Meer aufgestellt werden können! Dass Vorzelte und Markisen dazu neigen, bei auflandigen Winden wie dem Jugo ihre Flug(un)fähigkeit unter Beweis zu stellen, indem sie vor allem bei ungenügender Absicherung mittels Verstrebungen und Sturmbändern (Merke: Hier kommt wieder das Platzproblem in der Pole zum Tragen!) traurig in sich zusammensinken oder gleich übers Gefährt drüberklappen, fällt vermutlich unter Kollateralschaden. Die Alternative dazu stellt der tägliche Auf- und Abbau dieser Gerätschaften dar, aber was nimmt man nicht alles in Kauf, um daheim mit stolz präsentierter Urlaubsbräune verkünden zu können, man sei mit Wohnwagen oder Wohnmobil direkt  am Meer gestanden, also richtig DIREKT am Meer! Wer wenig Campingerfahrung besitzt, mag vielleicht beeindruckt reagieren, Menschen mit entsprechender Praxis und Kenntnis von den Windverhältnissen in Dalmatien verbeißen sich, so sie höflich sind, eine spitze Bemerkung.

Am heutigen Tag ist neben uns am Morgen ein Stellplatz frei geworden. Mittlerweile haben die zuvor weiter oben am Hang ansässig gewesenen Nachfolger der Nachbarn diesen Platz bereits wieder verlassen, um sich weiter Richtung Meer zu begeben. Die 100 Meter Luftlinie bis zum Wasser müssen augenscheinlich eine unüberwindbare Distanz sein, deshalb wirken auch die Camper, die vorhin nebenan eingeparkt haben, nicht unbedingt so, als wollten sie bleiben.

Des Campers Wille ist sein Himmelreich. Und manchmal auch seine Hölle.

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Es ist Licht am Ende des Tunnels

Midlifecrisis, das war bis vor ungefähr zwei Jahren für mich ein Begriff, den ich vorwiegend mit Männern verbunden hatte. Männern, die keinesfalls meinen Respekt hatten, weil sie nämlich fast von einem Tag auf den anderen komplett durchdrehten und ihre Familien im Stich ließen, sich mit wesentlich jüngeren Partnerinnen schmückten, eine Menge Geld in Sportwagen und schwere Motorräder investierten. Alles von außen gesehen ein verzweifelter Versuch, sich um beinahe jeden Preis Jugend und Zukunft zurückzuholen. In meinem näheren und weiteren Umfeld hatte es etliche solche Fälle gegeben, und meistens war dabei nichts als verbrannte Erde zurückgeblieben. Dass ich selber in eine derartige persönliche Krise geraten könnte, hatte ich nicht für möglich gehalten.

Nach meiner Scheidung befand ich mich in einem sehr tiefen menschlichen und materiellen Tal. Immerhin hatte ich familiären und freundschaftlichen Rückhalt, und bald ging es wieder steil bergauf. Meine persönliche Zukunft sah ich sehr konkret vor mir, ich fühlte mich vital und energiegeladen. Als ich dann noch den Cowboy kennenlernte, war mein Leben nach meinen Vorstellungen nahezu perfekt.

Der Abstieg begann mit fast über Nacht einsetzenden extremen Wechseljahresbeschwerden. Wenn ich mich nicht mehr auf meinen Körper verlassen kann, worauf dann? Massive Wallungen, Schwindel, Schmerzen an Körperstellen mit Verletzungen, die zum Teil schon in meiner Jugend geschehen waren. Es war zum Verzweifeln. Als sich auch mein Arbeitsumfeld schnell und unvorhersehbar zum wesentlich Schlechteren änderte, fühlte ich mich wie in einem Wirbelsturm. Ein Kampf ums bloße Überleben, obwohl die äußeren Umstände eigentlich nicht sonderlich besorgniserregend waren. Depressive Zustände und Panikattacken stellten sich ein. Als Krönung die unvorhergesehene Diagnose einer dauerhaften Hörbehinderung. Der Cowboy war nicht glücklich mit meinem Elend, nahm meine Veränderungen jedoch meist gelassen hin und meinte vor allem, ich solle mich nicht gegen das Altern wehren. Er hatte grundsätzlich recht, aber dieser Alterungsprozess hatte binnen weniger Monate von 0 auf 100 beschleunigt, und ich war völlig überfordert von den Symptomen, die mich überrollten. Meine Fluchttendenzen zur damaligen Zeit sind legendär, am liebsten hätte ich ohne jegliches Nachdenken alles hingeschmissen und mich ohne Rücksicht auf Verluste irgendwohin abgesetzt, und das ist durchaus im räumlichen Sinn zu verstehen.

Vor sich selber davonlaufen ist ein Ding der Unmöglichkeit, und als mich der Cowboy eines Tages, irgendwann um die Zeit meiner Reha herum, während einer dieser ziemlich sinnlosen Auseinandersetzungen mit der Frage „Wie es mir dabei geht, ist dir egal, oder?“ konfrontierte, erkannte ich plötzlich, was ich da eigentlich tat. Ich verhielt mich genau wie jene Männer, die ich wegen ihrer Egozentrik bislang verachtet hatte. Manchmal tauchen Stoppschilder im Leben auf, bei denen man besser anhält und nachzudenken beginnt, und das tat ich folgerichtig dann auch.

Ich kann, wenn es drauf ankommt, mit relativ wenig Geld leben, und deswegen habe ich mir jetzt eine Auszeit am Meer genommen, eine Art Sabbatical, um Abstand zu bekommen und neue Perspektiven zu gewinnen. Freilich habe ich Angst vor der Ungewissheit meiner beruflichen Zukunft; trotzdem überwiegt die Hoffnung, wieder eine Anstellung zu finden, in der einerseits meine Fähigkeiten gefragt sind und in der ich andererseits entsprechende Erfolgserlebnisse habe. Zuallererst aber bin ich wieder auf dem vielleicht langen Weg zu mir selber und entrümple allmählich Geist und Seele, um wieder einen klaren Blick auf mein weiteres Leben zu erlangen. Poseidon ist mein Zeuge.

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Im Zerrspiegel

Ich bin dick. Ich bin auch intelligent, einfühlsam, warmherzig, fürsorglich, loyal, redegewandt, belesen. Ich verfüge über eine ansehnliche Menge an Menschenkenntnis, Lebenserfahrung, und dunkel eingefärbtem Humor, aber das interessiert die meisten Leute, die mich zu ersten Mal sehen, nicht, denn: Ich bin dick. Deswegen werde ich augenblicklich in diverse Schubladen gestopft, deren Aufschriften alles andere als schmeichelhaft sind. Da stehen nämlich Attribute drauf wie „undiszipliniert“, „verfressen“, „unansehnlich“, „hässlich“, „unattraktiv“, „adipös“, „krank“. Im günstigsten Fall sehen Menschen, die mich nur wenig kennen, in mir eine fröhliche Dicke, die so schnell nichts umwirft, im schlimmsten Fall werde ich nicht einmal als Mensch wahrgenommen, weil ich nur nach meinem äußeren Erscheinungsbild beurteilt (oder besser: verurteilt) werde. Da nützt auch nicht viel, dass ich gepflegt bin, mich gerne schick anziehe, sehr gute Umgangsformen habe.

Um meine körperliche Gesundheit ist es deutlich besser bestellt als um meine psychische, denn ich muss mental ständig gegen Angriffe aus heiterem Himmel gewappnet sein. Für Menschen wie mich ist es gruselige Normalität, mit schiefen Blicken oder gar bösartigen Kommentaren bedacht zu werden, wenn ich in der Öffentlichkeit esse. Und manchmal genügt schon der Blick ins Schaufenster einer Konditorei, um von wildfremden Leuten gemaßregelt zu werden. Lebensmittelpolizei der anderen Art, übergriffig und anmaßend.

Mein ganzes bisheriges Leben schon habe ich immer wieder das Gefühl, von meinem Erscheinungsbild her nicht richtig zu sein. Natürlich könnte ich mich abgrenzen, natürlich könnte ich sagen, Hater mögen mir den Buckel hinunterrutschen. Aber wie schon Simmel eines seiner Bücher getitelt hat: Niemand ist eine Insel. Genau deswegen ist es schwer für mich, in einem inneren Gleichgewicht zu bleiben, denn jeder böse Kommentar, jede anmaßende Bemerkung wirft mein Selbstwertgefühl weit zurück, und es dauert immer lang, bis ich mir wieder eine halbwegs stabile Gemütsverfassung erkämpft habe.

In meinen jungen Jahren waren es Bilder im Fernsehen und in Frauenzeitschriften, die dafür sorgten, dass ich mir kaum jemals richtig vorgekommen bin, und diverse Erlebnisse beim Einkaufen bestätigten mich in dieser Wahrnehmung immer wieder. Der Kauf von Kleidung ist schon lange kein Spießrutenlauf mehr, der Blick auf diverse Seiten im Internet jedoch sehr wohl. Es stimmt, dass der häufige Anblick von in Richtung des aktuellen Schönheitsideals veränderten Fotos dieses unrealistische Schönheitsideal im Kopf fixiert, obwohl klar ist, dass die Bilder bearbeitet wurden. Im Unterbewusstsein senden diese Bilder ständig Signale, die bewirken, dass ich mich mit anderen Frauen vergleiche, sobald ich nicht vor diesen verhängnisvollen geistigen Mechanismen auf der Hut bin.

Mein Verstand sagt mir, ich solle vor allem auf meine inneren Werte schauen und mich über das freuen, was ich habe, mein Herz hingegen zuckt jedes Mal, wenn ich einen abschätzigen, vernichtenden Blick auf mich gerichtet sehe, traurig und verletzt zusammen.

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Campingleid, Campingfreud

Als ich am früheren Vormittag um die Ecke zum Waschhaus biege, sehe ich das Auto der Frau, die am Morgen immer zum Putzen kommt, davor stehen. Drinnen ist alles überschwemmt, weil die Reinigungsfrau den Toilettenbereich unter Wasser gesetzt hat. Mit Absicht, denn an manchen Tagen ist der Verschmutzung nicht mehr anders beizukommen, und ganz schlimm wird es, wenn die Toiletten dazu missbraucht werden, den Inhalt von Chemietoiletten zu entsorgen oder völlig verdreckte Wanderschuhe in den Duschen gereinigt werden. Ich spreche hier nicht von einem Waschhaus in Palastgröße, sondern von einem eher kleinen Gebäude, dessen Möglichkeiten sofort ersichtlich werden, wenn man einmal rundherum geht. Duschen, Waschbecken, und Toiletten für Frauen, Duschen, Waschbecken, und Toiletten für Männer. Draußen eine größere freie Fläche mit Wasseranschluss und Schlauch, um verschmutzte Gegenstände zu reinigen und Wasser in große Kanister zu füllen. Ein paar Abwäschen für Geschirr, ein Becken zum Wäschewaschen. Und natürlich ein Extraraum, in dem Chemietoiletten entleert und gereinigt werden können.

Vor Saisonbeginn werden jährlich Installationsarbeiten durchgeführt, Armaturen erneuert, Abflüsse kontrolliert. Ein paar Wochen nach Beginn der Hauptsaison hat ein Neuankömmling den Eindruck, hier sei schon seit Jahren nichts renoviert worden. In den Duschen fehlen die Gitter beim Abfluss, die Duschschläuche sind eingerissen, die ursprünglich stabilen Armaturen bei den Duschen wackeln. Im schlimmsten Fall fehlen bei den Abwäschen Armaturen, aber dass die Hähne locker sind, ist die Normalität. Das kommt vor allem daher, dass irgendwelche Genies große Wasserkanister unter die Hähne zwängen, weil sie entweder zu bequem oder zu wenig intelligent sind, um den Schlauch beim Außenplatz zu verwenden.

Interessanterweise sind das aber Probleme, die fast nur in der Hauptsaison auftreten. In diesen Monaten scheint es überproportional viele Touristen zu geben, die nach dem Prinzip „Nach mir die Sintflut!“ agieren, und das ist im Hinblick aufs Waschhaus durchaus wörtlich zu verstehen. Ich habe schon mit ungläubigem Staunen beobachtet, dass eine der Putzdamen einen Ast, der so groß war wie ein junger Baum, aus einer der Männerduschen geräumt hat, von mittleren Steingebirgen ganz zu schweigen.

Wer diese Zeilen gelesen hat, fragt sich möglicherweise, warum der Cowboy und ich trotzdem immer wieder hier sind. Ich will es euch sagen: In der Vor- und Nachsaison finden sich auf „unserem“ Platz vorwiegend Stammgäste verschiedener Nationalitäten ein, die wegen der Landschaft und der Ruhe herkommen. Es sind Menschen, die keinen überdimensionierten Vier-Sterne-Campingplatz mit Waschmaschinen, Geschirrspülern, zubetonierten Stellplätzen brauchen, Menschen, die keinerlei Wert auf Fremdbespaßung und Dauerbeschallung legen, Menschen, die nicht an Süßwasserpools auf einem Campingplatz am Meer interessiert sind.

Es sind Menschen, die unter Olivenbäumen sitzen und aufs Meer schauen wollen und genießen, dass die Zeit hier eine andere Wertigkeit hat. Wir stehen auf, wenn die Sonne über dem Hügel erscheint. Ein Morgenspaziergang mit Frau Hundchen zum Gemüsebauern, der bei der kleinen Bucht drüben täglich in den frühen Vormittagsstunden seine Ware verkauft. Obst, Gemüse, Zwiebel in allen Farben und Knoblauch in rauen Mengen, auch kauft er noch frisches Brot zu, um es hier anzubieten. Das einfache Leben. Die Marktstände, die ich als Kind gemalt habe, haben ziemlich genau ausgesehen wie der Anblick, der sich mir dort täglich bietet. Alle paar Tage die kurze Strecke zum Supermarkt, um einzukaufen, was wir sonst noch brauchen. Es gibt durchaus etliche gute Restaurants in der näheren Umgebung, aber wir gehen nur selten auswärts essen, denn ich koche ohnehin gerne selber und erst recht mit der vielen frischen und qualitativ hochwertigen Ware, die noch dazu preislich sehr in Ordnung ist. Saisonal & regional im besten Sinne des Wortes. Und sonnengereift, mit dem Geschmack der Fülle eines Sommers am Mittelmeer.

Die Tage vergehen mit Schwimmen, Lesen, Dösen, den Segelbooten zusehen, die weiter draußen kreuzen. Spazierengehen und dabei ein paar Feigen von den wild wachsenden Bäumen pflücken. Manchmal dauert es ein paar Tage, bis mein Kopf frei wird, aber dann breitet sich allmählich Friede in mir aus. Das lauteste Geräusch machen die Möwen, die am Ufer, dort, wo der pensionierte Meeresbiologe seinen Wohnwagen hat, kreischend ihren Anteil an seinem Fang einfordern. Das Leben hier auf dem Platz ist bedächtig. Viele Gäste hier sind nicht mehr jung und etliche haben schwere gesundheitliche Krisen überstanden; ihnen wohnt eine gewisse Dankbarkeit inne für jeden Urlaub, den sie hier verbringen dürfen, solange es ihre Lebenszeit noch zulässt. Wenn die Sonne untergeht, kehrt die Stille des Abends ein. Ein paar Grillen zirpen noch in den Olivenbäumen, während über dem Meer allmählich ein wundersam großer Sternenhimmel sichtbar wird, der allem menschlichen Sein wieder seine tatsächliche Größe verleiht.

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Zu viel, zu wenig

Manchmal kommt mir vor, ich sei überhaupt nie jung und unbeschwert gewesen. Als Kind war ich viel zu ernst, mit einem Fotolächeln, das mehr einer Grimasse zwischen Weinen und krampfhaft freundlichem Gesichtsausdruck ähnelte als einem fröhlichen, unbeschwerten Kinderlachen. Das Spiegelbild meines Alltags, in dem Herabwürdigung als selbstverständliche Notwendigkeit und Lob als Verweichlichung galt. Ob meine Mutter durch ihre Mutterschaft generell überfordert war, weiß ich nicht, aber möglich wäre es gewesen. Mein Vater entsprach dem klassischen Modell eines arbeitenden Mannes, der sich wenig bis gar nicht in häusliche Belange einmischte. Wenn ihm meine Mutter am Abend aufgebracht mitteilte, wie schlimm und böse ich wieder gewesen war, konnte ich sie durch die geschlossene Türe hindurch reden hören. Ich war in diesen Berichten nur „sie“ – kein Vorname, nicht einmal „deine Tochter“. Nur „sie“. Ich war ein sehr ernstes, schüchternes Kind, und meine Art, Frieden zu suchen, bestand in dem mitunter verzweifelten Versuch, es meiner Umgebung recht zu machen. Aufstand, Aufmüpfigkeit, Aufbegehren waren Begriffe, die in meiner kleinen Welt nicht vorkamen. Als Teenager zog ich mich zurück, als junge Erwachsene ging ich meiner Wege, sobald die Aussicht bestand, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen.

Beruflich wurde mir relativ schnell Anerkennung zuteil, denn ich konnte mich gut in ein Team einfügen, war ehrlich, stets höflich und immer zurückhaltend. Privat war meine Art weniger zielführend, denn ich suchte mein Glück auch weiterhin vorwiegend darin, für Zufriedenheit in meinem Umfeld zu sorgen, soweit es mir möglich war. Ich habe ein feines Gespür für Missstimmungen, und leider habe ich damals beinahe jegliche atmosphärische Schieflage auf mich bezogen. Ich hätte meinen ersten Ehemann an der Kandare halten sollen; er hätte vermutlich eine sehr selbstbewusste Partnerin gebraucht, derer er sich nie sicher sein hätte können, um seine menschliche Aufmerksamkeit auf die Ehe zu konzentrieren. Ich habe die Ursachen für Probleme immer bei mir gesucht: Ich bin zu groß, zu dick, zu herb, nicht lieblich (eine bevorzugte Beschreibung meiner Mutter für Frauen, die ihrem Idealschema entsprachen) genug, bin wahrscheinlich zu fordernd, habe vermutlich zu hohe Erwartungen. Mir war kein echter oder vermeintlicher Fehler zu absurd, um ihn nicht bei mir selber zu suchen. Für offene Gespräche zugänglich war mein erster Ehemann ungefähr so wie eine verschlossene Auster, und dieses Verhalten kannte ich nur zu gut von meiner Mutter. Im jungen Erwachsenenalter, mit der Gesprächskultur im Hintergrund, die auf „meinem“ Gymnasium üblich war, hatte ich oft versucht, meine Mutter zu einem offenen Gespräch, zu einer Diskussion über unser gestörtes Verhältnis zu bewegen. „Ich streite mich doch nicht mit dir herum!“, war ihr Standardkonter. Dass nicht ich der Aggressor war, sondern sie selber mit all ihren verdrängten Emotionen und Erinnerungen, habe ich erst viele Jahre später verstanden. Bis dahin war bei jedem Problem die Fehlersuche bei mir selber der einzige Impuls, denn mir war immer signalisiert worden, dass ich „unmöglich“ war. Im Gegensatz zu allen anderen Menschen, die natürlich völlig „normal“ waren im Gegensatz zu meinen „Spinnereien“ und „Einbildungen“. Heute hege ich den Verdacht, dass mein Instinkt und meine Intelligenz etwas war, das meine Mutter und mein erster Ehemann gefürchtet haben wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser. Ja, auch mein erster Ehemann, denn erst nach und nach hatte ich entdeckt, welche Leichen im emotionalen Keller seiner Herkunftsfamilie ihren Verwesungsgeruch verbreiteten.

In der ersten Zeit meiner zweiten Ehe war ich überzeugt, den richtigen Partner gefunden zu haben. Bis die alte Leier wieder von vorne begann und ich den größten Teil der bestehenden Probleme einmal mehr bei mir selber suchte. Ich tappte herum wie in der dunkelsten Finsternis, denn mein zweiter Ehemann war zwar beredt, aber nur, wenn es nicht um seine eigenen Emotionen und Probleme ging.

Meine Selbstwahrnehmung steht schon mein ganzes bisheriges Leben lang auf wackeligen Beinen, aber in den Zeiten privater Krisen konnte ich mich immerhin auf meine beruflichen Erfolge verlassen. Sowohl meine Hard als auch meine Soft Skills waren gefragt, und ich habe für mich immer eine berufliche Zukunft gesehen. Nach schweren Wechseljahresbeschwerden und ein Burnout später ist auch diese Zuversicht verschwunden, und ich werde nie mehr erfahren, wie es ist, mich vital, jung, attraktiv und voller Optimismus zu fühlen, weil das meiste Leben noch vor mir liegt.

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Verraten und verkauft

Für Führer, Volk und Vaterland hätten die Jungs seiner Generation begeistert ihr Leben opfern sollen. Spätestens bei der Freilassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft war mein Vater von jener Ideologie, mit der er im Hitlerregime indoktriniert worden war, geheilt. Nicht das soziale Wohlergehen des „kleinen Mannes“ war Triebfeder des Nationalsozialismus gewesen, sondern die Gier nach Geld und Macht der Führungsriege sowie der mit ihr verbandelten Kriegsgewinnler.

Die Zeiten wurden allmählich wieder ruhiger; mein Vater hatte seine Berufsausbildung beendet und wurde Mitglied der SPÖ. Aus Überzeugung, denn er wusste um die Wichtigkeit einer sicheren Anstellung, so, wie er auch erkannt hatte, dass ein funktionierendes Sozialsystem jedem Staatsbürger ein Stückchen Rückhalt in den Unabwägbarkeiten des Lebens gibt. Mein Vater arbeitete sich in einem mittelständischen Unternehmen hoch, das als kleiner Handwerksbetrieb angefangen hatte. Er war ein Teil der Erfolgssgeschichte dieser Firma, und er war loyal und stolz darauf, sein Wissen und seine Erfahrung diesem Unternehmen zur Verfügung stellen zu können und dafür mehr als nur materielle Wertschätzung zu erfahren. Wer zur damaligen Zeit zu einer Firma gehörte und dort gute Arbeit verrichtete, konnte weitgehend sicher sein, seine Anstellung bis zum Erreichen des Pensionsalters zu behalten.

Mein Vater wurde in den 70ern zum Betriebsratsobmann gewählt. Er besaß sowohl unternehmerisches Denken als auch die entsprechende Erdung, um ein Miteinander zu fördern und Probleme zu entschärfen. Den absolut notwendigen Kontakt zur Basis, zu den arbeitenden Menschen, hatte damals auch die SPÖ noch. Wohnraumbeschaffung und Mieten waren leistbar, Arzttermine und Kostenübernahmen keine große Sache. Es war möglich, nicht zuletzt aufgrund ansehnlicher Bankzinsen das Ersparte zu vermehren, um sich ein paar größere Wünsche und Träume zu erfüllen. Zu meiner Teenagerzeit in den späten 70er-Jahren jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass es sich in Österreich gut leben lässt.

Etwa um die Mitte der 80er-Jahre waren für mich allmählich Sprünge im politischen Gefüge zu erkennen. Ich selber war damals in der Saisongastronomie tätig und merkte bald, dass die Gewerkschaft – jedenfalls in diesem Bereich – bereits zahnlos geworden war. Es lag ein offensichtlicher Verstoß seitens meines damaligen Arbeitgebers vor, ein Verstoß, der keineswegs ein Einzelfall war. Mehr als ein Schulterzucken bekam ich im zuständigen Gewerkschaftsbüro der Bezirkshauptstadt nicht. Bis dahin war auch ich SPÖ-Wählerin gewesen, fühlte mich jetzt aber im Stich gelassen. Dass auch Haider & Konsorten keine Heilsbringer fürs arbeitende Volk waren, merkte ich leider erst nach den Wahlen.

In den Medien kam immer häufiger zur Sprache, dass alleinerziehende Menschen gefährdet waren, unter die Armutsgrenze anzurutschen. Die Mieten waren deutlich angestiegen, der Traum vom eigenen Häuschen oder der kleinen Eigentumswohnung war wegen der mit freiem Auge kaum mehr sichtbaren Verzinsung für viele in unerreichbare Ferne gerückt, dafür trieben großzügig gewährte Konsumkredite nicht wenige Menschen in die Schuldenfalle. „Prekäre Dienstverhältnisse“ geisterte als neues Schlagwort herum. Wer bei all dem keinen sichtbaren Rührer machte, war die SPÖ.

Später dann, als Einzelunternehmerin mit eigenem kleinem Geschäft, blieb ich weitgehend auf mich alleine gestellt. Für die ÖVP war ich aufgrund meines Einzelunternehmertums eine Lachnummer, als Unternehmerin für die SPÖ so etwas wie der Klassenfeind. Die FPÖ bandelte mit der ÖVP und deren Granden, und die Grünen hatten schlichtweg andere Themen.

Mittlerweile haben wir hier in Österreich eine weitgehend schwarzblaubrauntürkise Mischkulanz an Einzelteilen, die vorgeben, eine harmonische Regierung zu sein und versuchen, uns alten, sauer gewordenen Wein mit einem jugendlichen Etikett schmackhaft zu machen. Als ob die alten Parteigranden auch nur ein einziges Bröselchen ihrer Macht freiwillig abgeben würden! Das geht dann jeweils so lange, bis ein Skandal mehr oder weniger Staub aufwirbelt, aber wenn sich der Sandsturm gelegt hat, gehts halt wieder so weiter wie zuvor. Bis zum wiederum nächsten Skandal, und das in Endlosschleife. „Und täglich grüßt das Murmeltier“ in der österreichischen Variante.

Nicht das soziale Wohlergehen des „kleinen Mannes“ ist Triebfeder der regierenden Politikerkaste, sondern die Gier nach Geld und Macht der Führungsriege sowie der mit ihr verbandelten Industriellen, schwerreichen Erben, Oligarchen. Als Gegengefälligkeit zu Parteispenden werden Gesetze verhindert, die dem Gemeinwesen enorm nützen würden. Unser Sozialsystem bröckelt an allen Ecken und Enden, aber statt eine Renovierung einzuleiten, wird noch mit der Abrissbirne herumgespielt und zwischendurch verbal gezündelt. Und genau deswegen brauchen wir mehr denn je einen kämpferischen Gegenpart zu jener politischen Seifenoper, die sich vor unser aller Augen abspielt und deren Protagonisten sich unverhohlen über uns alle lustig machen, weil sie eben keinen echten politischen Gegner in unserem Land haben. In diesem Sinne: Freundschaft!

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Zwischenwelt

Ich bin an der Schwelle dessen, was mit etwas Glück mein letztes Lebensdrittel sein wird. Vielleicht ein wenig mehr, vielleicht aber auch weniger, wer weiß das schon.

Mein erstes Lebensdrittel war geprägt vom mühsamen Erwachsenwerden unter der Last kriegstraumatisierter Eltern, vom Versuch, diesem Elternhaus durch frühe finanzielle Unabhängigkeit zu entfliehen. Von einer Heirat, die letztlich auch nicht viel mehr war als eine Flucht und der verzweifelte Versuch, meinen ewig unzufriedenen Eltern zu beweisen, dass ich auch ohne sie lebensfähig bin und dass es da draußen Menschen gibt, die mich mögen, so wie ich bin.

Mein zweites Lebensdrittel hat ziemlich genau mit der Geburt meiner Tochter begonnen. Mein neugeborenes Baby hat in mir das Bewusstsein geschärft, dass es an der Zeit war, faule Kompromisse zu beenden, was folgerichtig zu meiner Scheidung führte. Mittelpunkt meines Lebens war in den darauffolgenden Jahren meine Tochter. Als ich meinen zweiten Ehemann kennengelernt habe, wussten wir beide nicht, welche Hölle aus Alter, Krankheit, Tod uns schon nach wenigen Jahren erwarten würde. Für ihn war eine abrupte Scheidung nach seiner Reha die einzige Möglichkeit, die er für seine Zukunft sah. Aus den Ruinen meines Lebens baute ich mir danach mit viel menschlicher Unterstützung von Freunden und Restfamilie eine neue Existenz auf. Dazu kam noch ein Arbeitsplatz, an dem ich wertgeschätzt wurde, und ein paar Monate später der Cowboy, ein großes Glück in einem Alter, in dem eine Frau erfahrungsgemäß eher einen Lottogewinn macht als einem Mann mit Potenzial für eine tragfähige Beziehung zu begegnen.

Firmenstrukturen können sich ändern, und mit ihnen die Qualität des Arbeitsplatzes. In meinem Fall war es eine Veränderung zum Schlechteren. Meine privaten psychischen Altlasten aus den hinter mir liegenden Achterbahnjahren waren noch nicht ganz aufgearbeitet, als die Atmosphäre an meinem Arbeitsplatz zu kippen begann. Massive Wechseljahresbeschwerden vermischten sich mit anhaltend negativem beruflichem Stress, sodass es nicht lange dauerte bis zu meiner Diagnose, welche da lautete: „Erschöpfungsdepression“. Es brauchte Monate, bis abgeklärt war, was psychisch und was physisch bedingt war, denn die Bandbreite meiner Symptome war beängstigend. Ich hatte das Glück, zu einer Ärztin überwiesen zu werden, die spürte, dass ich vor allem eines brauchte: Zeit. Im Zuge der vielen Untersuchungen wurde auch Schwerhörigkeit diagnostiziert, „gewürzt“ mit ein paar weiteren dauerhaften Alterserscheinungen. Jetzt bin ich jedenfalls Inhaberin eines Behindertenausweises.

Als nach einem langen, dornigen Weg durch ein sehr tiefes Tal dann im Frühling meine Reha begann, war ich bereits wieder auf dem aufsteigenden Ast. Während der intensiven Therapie wurden mir einige Zusammenhänge klar, die ich zuvor bestenfalls geahnt hatte. Zwischenzeitlich hatte mein Dienstverhältnis geendet, weil nicht zuletzt aufgrund meiner Behinderung die bisherige Tätigkeit nicht mehr möglich war.

Jetzt bin ich offiziell wieder gesund und auf Arbeitssuche. Ich habe Menschen um mich, auf die ich mich verlassen kann und von denen ich gemocht werde, wie ich bin: Eine rundliche Frau mit Ecken und Kanten und jeder Menge Lebenserfahrung. Ich habe Skills, die für ein Unternehmen, das diese Fähigkeiten braucht, Gold wert wären, nur sind diese meine Skills aktuell auf dem Arbeitsmarkt kaum gefragt, und zwar weder die harten noch die soften.

An schlechten Tagen hadere ich extrem mit mir selber, weil ich in meinem ganzen bisherigen Leben immer auf irgendeine Weise zwischen den Stühlen gesessen bin. Wie manche Menschen es schaffen, dauerhaft ein gutes Privatleben und einen befriedigenden Beruf zu haben, erschließt sich mir nicht, schön wärs aber trotzdem. Aber an guten Tagen denke ich mir, jene Tage, an denen ich düsteren Gedanken nachhänge, sind vielleicht auch nur die Geburtsschmerzen beim Übergang in einen neuen Lebensabschnitt.

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